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„Als ich noch ein Kind war, damals in den 1940er Jahren, da war die Rur noch ein ganz anderer Fluss. In vielen Kurven schlängelte sie sich ganz wild durch die Region, hatte klare Buchten und Windungen und brachte mal viel und mal weniger Wasser mit sich.
Im Sommer, wenn die Rur unter der heißen Sonne und mit nur wenig Wasser ganz langsam dahinfloss, waren alle Kinder der Umgebung am Wasser. Wir haben hier alle in den seichten Stellen des Flusses das Schwimmen gelernt.
Als wir größer waren, sind wir dann an den tieferen Stellen sogar von Bäumen aus hineingesprungen. Mein Vater hat mir damals an den Wochenenden hier das Angeln beigebracht. Wir haben damals sogar noch Lachse gefangen, stellen Sie sich das mal vor.
Im Winter, als die Rur regelmäßig über die Ufer trat und die angrenzenden Wiesen meterweit unter Wasser setzte, verdienten wir uns an den Wochenenden und nach der Schule auch ein paar Mark mit dem Hochwasser dazu: weil das Wasser dann manchmal bis zum Ortsrand reichte, konnten wir ganz einfach die Autos der Nachbarn waschen, ohne Wassereimer schleppen zu müssen.
Und wenn die überschwemmten Wiesen zugefroren waren, nutzen wir die natürlich, um auf der Eisfläche zu „höscheln“. So nannten wir das damals, wenn wir mit viel Anlauf und unseren Schuhen über das Eis gerutscht sind. Schlittschuhe hatten damals ja noch die wenigsten Kinder. Aber Spaß hat es auch so gemacht.
Aber die Rur war damals natürlich nicht nur ein Spielparadies für uns Kinder. In den Überschwemmungsgebieten haben die Korbmacher der Region ihre Weiden angebaut. Die prägten damals die ganze Landschaft und lieferten ihnen die Rohstoffe für ein gutes Auskommen.
Weil die Rur mit ihren vielen Überschwemmungen aber so unberechenbar war, stellte sie für die Menschen, die hier am Fluss lebten oder die Handwerker, die hier ihre Werkstätten hatten, aber auch schon immer eine Bedrohung dar.
Meinem Onkel ist das noch öfters passiert. Der war einer dieser Korbmacher hier an der Rur. Der kam im Frühjahr oft nicht mehr in seine Werkstatt, weil die einen Meter unter Wasser stand. Seine fertigen Waren musste er immer auf den Dachboden bringen um sie dort sicher aufbewahren zu können.
Und um dieses Risiko einzudämmen, wurden Anfang des 20. Jahrhunderts die Rur dann stark verändert. Im Oberlauf haben sie Talsperren gebaut, im Mittel- und hier im Unterlauf den einst so wilden Flussverlauf begradigt, überall haben sie Wehre und kleine Staustufen installiert und oben drauf die Rur dann auch noch eingedeicht und in ein noch engeres Korsett gezwängt.
Bei Hochwasser konnte das Wasser auf diese Weise zwar schneller abgeführt, die saisonalen Schwankungen durch die Stauseen ausgeglichen und dort, wo früher Feuchtwiesen und Auen waren konnten die Flächen nun als Felder für die Landwirtschaft genutzt werden.
Aber das war natürlich auch das Ende der wilden Rur, wie ich sie aus meiner Kindheit kannte. Darum gibt es heute auch keine Lachse mehr: denn wegen der vielen Wehre können die nicht mehr zum Laichen bis in den oberen Rurlauf wandern.
Aber, so langsam merken die Leute, dass das, was man früher gemacht hat auch nicht immer gut war und denken heute wieder andersherum: Der Uferlauf wird wieder endgradig, ehemalige Altarme wieder angeschlossen und sogar Wehre werden vollständig zurückgebaut, damit sie für die Lachse und andere Flusstiere keine Hindernisse mehr darstellen.
Und durch diesen zweiten Wandel, den die Rur nun durchläuft, kann ich mit meinen Enkeln die natürliche Schönheit der Rur wieder kennenlernen – beim Angeln zum Beispiel. Und Dank der Renaturierung nisten nun hier auch wieder andere Vögel, wie beispielsweise der Eisvogel.“